Am Freitag, dem 07.05.2021, um 18:00 Uhr, trafen sich der Präsident der Stadtvertretung Herr Klaus Salewski, Vertreter verschiedener Stadtfraktionen, der Bürgermeister Herr Stefan Guzu und die 1. Stadträtin Frau Berit Neumann sowie weitere Interessierte auf dem Stavenhagener Friedhof, um dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Vor den Gedenksteinen wurden Blumen niedergelegt und der Präsident der Stadtvertretung hielt eine bewegende Rede.
Rede des Präsidenten der Stadtvertretung zum 8. Mai 2021 – Tag der Befreiung - Friedhof Stavenhagen
Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos. Somit war der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende. Die Nationalsozialisten, verantwortlich für unmenschliche Verbrechen, waren besiegt.
Das ist 71 Jahre her.
Der 8. Mai wurde lange unterschiedlich gedeutet:
- auf der einen Seite die Rettung der überlebenden Verfolgten in den Konzentrationslagern und Gefängnissen, das Ende der menschenverachtenden faschistischen Ideologie
- auf der anderen Seite die totale militärische Niederlage und – für viele Deutsche – der Zusammenbruch eines Weltbildes.
In nahezu allen, von Nazideutschland besetzten Ländern, wurden der 8. bzw. 9. Mai gesetzliche Feiertage oder Gedenktage, das war auch in einem Teil Deutschlands der Fall.
Für andere war es ein Zusammenbruch, Kapitulation, Niederlage, Besatzung, Stunde Null, Neubeginn.
Erst 40 Jahre später, mit der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985, setzte sich die Deutung dieses Tages als „Tag der Befreiung“ durch.
2002 wurde der 8. Mai in Mecklenburg-Vorpommern als erstem Bundesland als offizieller Gedenktag eingeführt, erst 2015 folgte mit Brandenburg ein weiteres Bundesland und in diesem Jahr auch Schleswig-Holstein.
Wir tun uns also sehr schwer im Umgang mit diesem weltweit bedeutsamen Tag. Warum nur?
Erich Kästner schrieb:
Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht
und bildet die Menschen um.
Wer das, was schön war, vergisst, wird böse.
Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm.
Vor diesem Mahnmal stehend und angesichts der Gräber der Sowjetsoldaten, die wir vor uns sehen, auch angesichts der dahinter liegenden Wiese mit begrabenen Flüchtlingen oder auch Stavenhagenern, die ihrem Leben damals selbst ein Ende setzten und schließlich der dahinter liegenden Gräber deutscher Soldaten – angesicht dieser hier Begrabenen mit ihren ganz individuellen Schicksalen dürfen wir im Kästnerschen Sinne weder böse noch dumm sein oder werden.
Wir können und dürfen die Zeit zwischen 1933 und 1945 nicht vergessen und vor allem aber nicht die Lehren, die wir daraus ziehen müssen.
Richard von Weizsäcker hatte formuliert:
„Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Hass zu schüren.“
Wieviel Vorurteile gibt es auch heute gegenüber Andersdenken, Andersaussehenden, Anderslebenden, aus anderen Ländern Kommenden?
Wieviel Feindschaften und Hass spüren und lesen wir in den sozialen Medien, aber nicht nur in diesen, sondern auch auf der Straße, im Gespräch gerade in der gegenwärtigen Zeit der Corona-Pandemie.
Meine Bitte, meine Aufforderung lautet:
Lasst uns nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen andere Religionen, gegen andere Völker, lernen wir miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Das sind wir den hier Begrabenen schuldig, das sind wir den Toten und Kriegsversehrten des letzten Weltkrieges schuldig.
Ich wünsche mir gerade an diesem Platze, angesichts der vielen Gräber und der Gedenksteine, dass Kriege, Gewalt und Terror der Vergangenheit angehören mögen und das nicht nur für unsere Stadt, sondern für alle Menschen in den Dörfern und Städten der Welt. Wir können, wir müssen hier Haltung beziehen, Gesicht zeigen mit Worten und mit Taten.
Verneigen wir uns vor den hier Begrabenen im Stillen, im mahnendenden Gedenken.
Anschließend begaben sich die Teilnehmer in die Geschwister-Scholl-Straße um dort dem 100. Geburtstag von Sophie Scholl (Weiße Rose) zu gedenken.
Fotos: Eckhard Kruse
Rede zum 9. Mai 2021 - 100. Geburtstag Sophie Scholl - Geschwister-Scholl-Straße
Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Wir können, wir müssen hier Haltung beziehen, Gesicht zeigen mit Worten und mit Taten, sagte ich vor dem Mahnmal auf dem Friedhof.
Gesicht gezeigt hatte in einer Zeit, in der dieses lebensbedrohlich war, Sophie Scholl. Am kommenden Sonntag wäre sie 100 Jahre alt geworden. Ihr Leben endete aber am 22. Februar 1943, mit 21 Jahren - hingerichtet von den Nazis in München.
Sie war in jungen Jahren ein Mädchen voller Lebensfreude und Unternehmensgeist, wuchs auf in einem liberal geprägten, evangelischen Elternhaus in der Zeit des Nationalsozialismus, war Mitglied – wie ihre Brüder auch – in den damaligen Jugendorganisationen. Bald aber wuchsen ihre Zweifel und sie wurde in ihrer Studentenzeit zur Widerstandskämpferin in der Widerstandsgruppe Weiße Rose. Hier wirkte sie bis zu ihrer Verhaftung mit Wort und Tat gegen die faschistische Ideologie und gegen den durch die Nazis angefachten 2.Weltkrieg.
Ich kann es nicht begreifen, daß nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und ich finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist für´s Vaterland, schreibt Sophie Scholl am 5. September 1939, wenige Tage nach Kriegsbeginn, an ihren Freund Fritz Hartnagel, einem Offiziersanwärter in der Wehrmacht.
In den Vernehmungsprotokollen ist ihre tapfere Haltung auch angesichts des bevorstehenden Todesurteils zu lesen:
Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.
Mit ihr wurden am gleichen Tag ihr Bruder Hans und Christoph Probst hingerichtet, später weitere Mitglieder der Weißen Rose.
Heute ist sie für viele Jugendliche Symbolfigur für den Widerstand, wird aber auch schamlos missbraucht, so z.B. von einer gewissen Jana aus Kassel, die sich als Widerstandskämpferin gegen Corona-Maßnahmen mit Sophie Scholl verglich. Ähnliche Beispiele gibt es immer wieder in der Szene der Querdenker.
Wir gedenken heute der mutigen jungen Frau, die sich gegen die verbrecherische Nazi-Dikta-tur stellte.
Die Redaktion